Die „Dalheimer Glocke 1829“
Auszug aus der Dorfchronik, verfasst von Bernhard Schwethelm , Lehrer in Dalheim von 1927 bis 1963
„Dalheim hat keine Kirche. Seit 1948 hat die
Gemeinde aber wenigstens einen Bauplatz
für eine Kirche oder Kapelle (der Schule gegenüber). Ob aber jemals eine Kapelle in Dalheim gebaut
wird, wage ich zu bezweifeln.
Das Dorf hat aber eine schöne, kleine Glocke!
Es ist eine Bronzeglocke und wurde, wie die Inschrift sagt,
im Jahre 1829 in der Glockengießerei Henschel in Kassel
angefertigt.
Diese nun schon 130 Jahre alte schöne Glocke, hat glücklich beide Weltkriege, in denen viele ihrer Schwestern in
Stadt und Land in die Schmelzöfen und Kanonenfabriken
wanderten, überlebt! Ob man sie vergessen hat? Weil
Dalheim ja keine Kirche hat! Oder ob sie zu klein war?
Schön, dass sie geblieben ist. Seit 130 Jahren hat sie nun
bereits die Gemeinde treu begleitet! (Schiller Lied v. d.
Glocke!) und ihre helle Stimme über Dorf und Land erklingen lassen. Man kann den hellen Ton des Glöckchens
in Warburg hören!
Ursprünglich stand die Glocke in ihrem Gerüst auf dem
Dorfplatz neben dem Kreuz (bei dem Hause Nr. 19 (Fuest) das jetzt abgerissen ist.). Als man 1890 die neue
Schule einweihte, hat man den Glockenstuhl in den Garten neben der Schule gesetzt. Ob dies nun der richtige
Platz ist? (Neben den Aborts für die Schüler!!) Für diesen
Platz wird ja wohl der damalige Lehrer Ohle verantwortlich sein. In allen Dörfern waren ja die Lehrer damals
Küster und „Leutnante“. Der Lehrer, der morgens, mittags und abends „Engel des Herrn“ läuten musste, hatte
die Glocke gern beim Hause. So konnte er morgens und
abends in Pantoffeln zum Läuten aus der „Hintertür“ treten. Andererseits aber wollte die Gemeinde auch verhindern, dass jeder Fremde, der durchs Dorf kam, einfach
zur Glocke gehen und eben mal dran „bimmeln“ konnte.
So, wie es oft geschah! Dazu ist aber eine Glocke, die zu
dem „Feuerglocke“ war, nicht da.
Die Dalheimer Glocke wurde also täglich 3 mal zur
„Betglocke“ geläutet. Sodann gibt sie vom Ableben jedes Dalheimers treulich Kunde. Sobald jemand im Dorfe
gestorben ist, wird mit der Glocke um 11 Uhr der „Tote
angesagt“. Es werden 3 Schauer geläutet. Wenn der Tote
aus dem Dorfe nach Calenberg zum Friedhof gefahren
wird, wurden ebenfalls 3 Schauer geläutet.
Am Dalheimer „Maitag“, bei der Sakramentsprozession
durch das Dorf am Feste Kreuzauffindung am 1. Sonntag
im Mai wird die Glocke beim Eintritt der Prozession ins
Dorf und beim Ausgang derselben geläutet.
Solange der Priester noch im Rochett, und mit dem eine
brennende Laterne vor ihm hertragenden Küster die
Wegzehrung zu den Kranken brachte, wurde die Glocke
beim Eintritt des Priesters in das Dorf kurz angeläutet. Seit aber die Calenberger Pfarrer nur im schwarzen
Priesterkleid und mit dem Fahrrad (Pastor Heinemann)
oder mit dem Auto (Pastor Frenzel) das Abendmahl zu
den Kranken bringen, hat dieses Läuten aufgehört.
Unser Glöckchen ist aber auch „Feuerglocke“ gewesen.
Wenn es im Dorfe oder in einem nahen Dorfe (z.B. Kuhlemühle) brannte, so wurde der Klöppel mit der Hand in
rascher Folge in ganz kurzen Schlägen an die Glocke geschlagen: bim, bim, bim, bim, ohne die Glocke zu läuten!
(Schiller: „Hört ihr‘s wimmern, hoch vom Turm! Das ist
Sturm!“)
Den hellen wimmernden Klang unseres Glöckchens hat
man weithin vernommen und alles eilte aus den Häusern und evtl. zur Brandstätte.
Für die halbwüchsigen Jugendlichen des Dorfes ist es allemal ein Vergnügen, das neue Jahr „einzuläuten“. Dabei
wurde meist so wüst und so lange an dem Kettenstrang
gerissen, dass sich das kleine Glöckchen dabei in seiner
Stimme „überschlägt“ und ihr Klang einem blechernen
„Bellen“ gleicht. Das Glockengerüst aber kam ins Wanken!
Es wird alles einmal alt und morsch! So auch der Glockenstuhl! Es war um 1930/40 schon notwendig, den Glockenstuhl zu erneuern, er wackelte bedenklich! Aber es
vergingen noch 20 Jahre! Ich fürchte immer, dass die Glocke beim Läuten einmal herabfallen würde. Dann wäre
sie zersprungen. Aus diesem Grunde konnte ich in den
letzten Jahren meiner Tätigkeit auch nicht verantworten,
dass Schulkinder läuteten!
Endlich, im Jahre 1960, wurde durch den Baumeister Schmale aus Wettesingen ein neuer Glockenstuhl
geliefert. Nun wird er ja wohl wieder 50 Jahre halten.
Leider aber ist seit einigen Jahren schon das Glöcklein
stumm! Nach dem I. Weltkrieg haben die Lehrer die Glocke nicht mehr geläutet. Es wurde von Seiten der Gemeinde ein „Leutnant“ angestellt. In den ersten Jahren meiner Tätigkeit (1927 – 19xx) hat der Eisenbahner Pensionär
Alb. Menne (Nr. 3) den „Leutnant“ gespielt. Mit großer Regelmäßigkeit und Pünktlichkeit hat er seines Amtes gewaltet und „Betglocke“ und „Totenglocke“ geläutet bis
kurz vor seinem Tode. Nach ihm versah der Landwirt
Heinrich Drescher mit gleicher Treue das Amt des
Glöckners ebenfalls bis kurz vor seinem Ableben. Soviel
ich unterrichtet bin, erhielt er für das Läuten nur einen
jährlichen Beitrag von 12,- DM. Das war gewiss sehr wenig.
Und beide „Leutnante“ waren sehr fromm und haben wohl
mehr zur Ehre Gottes und für Gotteslohn so treu geläutet.
Nach dem Tode des Herrn Drescher haben zuerst die
großen Schuljungen die Glocke geläutet. Aber es war
schon wenig Verlaß auf sie. Die „Betglocke“ läutete nur
unregelmäßig. Die Jungen konnten einfach die Glocke nicht
läuten und ein Schüler hätte sich dabei beinahe verletzt.
So schweigt das Glöckchen seit ca. 10 Jahren als
„Betglocke“. Gewiss kein gutes Zeichen für das Dorf.
Möge das Glöckchen noch viele Jahrhunderte erhalten
bleiben und unser Dalheim mit seinem hellen Klang durch glückliche Zeiten geleiten“
34414 Warburg